Schwimmflosse, Fallschirm oder Klettverschluss: alles von der Natur abgeschaut. Sie ist eine wertvolle Fundgrube für technische Innovationen. In den letzten Jahren wächst das Forschungsfeld der Bionik besonders rasant. In der Schweiz steckt es allerdings noch in den Kinderschuhen.
Der Clou an Regine Schwilchs Windsurf-Finne ist die Form: Die Finne hat einen Buckel an der Vorderkante, der Surfern mehr Halt und Sicherheit gibt – abgeschaut aus der Natur. «Der Buckelwal kann dank den Buckeln an seinen Flossen Manöver schwimmen, die ähnlich grosse Wale nicht schaffen. Deshalb habe ich einfach mal ausprobiert, ob Buckel an einer üblichen Windsurf-Finne ebenfalls einen positiven Effekt haben. Und es hat funktioniert», erklärt die Biologin begeistert.
Regine Schwilch hat sich auf Bionik spezialisiert. Sie schaut sich Funktionsprinzipien in der Natur ab und überträgt sie auf die Technik. Seit drei Jahren bietet sie dieses Fachwissen nun Firmen für deren Produktentwicklung an.
Bionik-Experten wie Regine Schwilch gibt es nur ganz wenige in der Schweiz. Abgesehen von ein paar Einzelaktivitäten in der öffentlichen und privaten Forschung sowie einzelner Firmen, liegt das Forschungsgebiet Bionik hierzulande weitgehend brach. «Das Interesse der Industrie ist nach wie vor begrenzt, obwohl das Potenzial riesig wäre», sagt Regine Schwilch, «und die wenigen, die auf die Bionik setzen, halten ihre Projekte aus Konkurrenzgründen meist geheim». Auch sie selbst darf über ihre aktuellen Projekte und Auftraggeber nicht sprechen – alles top secret.
Es ist dennoch verwunderlich, dass die Bionik in der Schweiz noch nicht wirklich Fuss gefasst hat, denn ihre Bedeutung bei Innovationsprozessen hat in den letzten zehn Jahren stark zugenommen. Unser Nachbarland Deutschland nimmt dabei gar weltweit die Spitzenposition ein. Einer, der dazu seit fast 20 Jahren einen grossen Beitrag leistet, ist Thomas Speck. Er ist eine Kapazität auf dem Gebiet, kennt die Szene und viele Projekte – aktuelle und vergangene. Aber Schweizer Projekte?
«Da fallen mir tatsächlich nur knapp eine Handvoll ein», sagt der Experte. Wieso das so sei, könne er natürlich auch nur vermuten. Die Grösse der Forschungslandschaft sei bestimmt einer der Gründe, aber wahrscheinlich nicht der einzige: «Vielleicht sind die Schweizer einfach nicht so mutig in der Hinsicht. Sie setzen in der Forschung wohl lieber auf altbewährte Themen, wo sie bereits Spitzenreiter sind. Zum Beispiel die Nanotechnologie».
Deutschland habe in der Bionik eine total andere Ausgangslage gehabt, erzählt Thomas Speck. Seit langem setzt dort die Autoindustrie auf Bionik und ist so seit Jahrzehnten ein wertvoller Auftrag- und Geldgeber. Dazu kommen nationale und internationale Netzwerke und mehrere Hochschulen und Unis, die mittlerweile Studiengänge und Kurse für die Fachrichtung anbieten. Seit rund 15 Jahren unterstützen zudem Staat und Bundesländer die Bionik-Forschung finanziell.
Was in Deutschland etabliert ist, befindet sich in der Schweiz gerade in den Anfängen. Lange gab es keine Netzwerke, ganz abgesehen von Hochschul-Ausbildung oder einer Institution, die Unternehmen in bionischen Fragestellungen unterstützt. Doch es tut sich etwas.
Vor einem Jahr eröffnete in Horw das erste Zentrum für Bionik. Hier werden Unternehmen aktiv beraten: Wo liegen bei der Entwicklung von Produkten und Verfahren bionische Lösungsansätze? «In unseren Workshops treffen die Firmen-Spezialisten wie Ingenieure, Konstrukteure, Chemiker oder Architekten auf Bioniker und Biologen», erklärt Daniel Portmann, der Leiter des Bionik-Zentrums. «Dadurch wird technisches Know-How mit dem Wissen um die Lösungen aus der Natur zusammengebracht. Und das führt zu hochinteressanten Ansätzen».
Dank der engen Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern startete diesen Frühsommer auch der erste berufsbegleitende Lehrgang in Bionik, weitere sollen im Herbst folgen. Finanzielle Unterstützung erhält das Zentrum in der Anschubphase vom Bund und dem Kanton Luzern.
Auch die Bionikerin Regine Schwilch arbeitete für die Entwicklung ihrer Windsurf-Finne mit dem Bionik-Zentrum in Horw zusammen. Hier wurde sie an die Hochschule Luzern vermittelt, die die Finne wissenschaftlich überprüfte, und anschliessend an einen Partner in der Industrie, der sie produzierte. Für das Bionik-Zentrum ist es das erste abgeschlossene Projekt, und es hat funktioniert: Mittlerweile ist die Windsurf-Finne mit den Buckeln bereits in einigen Surf-Shops erhältlich.
Woran die Bioniker sich die Zähne ausbeissen
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